· 

Bad Kösen


Bad Kösen, Saale-Wehr
Bad Kösen, Saale-Wehr

Ein seltsamer Ort

Bad Kösen ist ein seltsamer Ort. Das Städtchen liegt ganz wunderschön, direkt an der Saale, da wo der Fluß erst links, dann rechts um die Ecke biegt. Der eine Teil der kleinen Stadt liegt gleich unten, direkt am Fluss, am linken und rechten Ufer. Der andere oben an den Hängen und auf dem Plateau, das der Saale eine so harte Seite zeigt, dass sie, am gemütlichen weiterfliessen gehindert, abprallt und eine Ecke knickt. Oben an den Hängen sieht man ein paar schöne große Gebäude - das sind die historischen Kurhäuser. Ein altes Gradierwerk thront auf der anderen Flussseite hoch über dem Ort. Eine sehr schöne steinerne Brücke führt über die Saale. Nicht weit entfernt, gleich an der Straße nach Naumburg, empfängt die Konditorei Schoppe die Durchfahrenden und Ankommenden mit Kuchen, Torten und einer großer Terrasse. Hier ist immer Betrieb. "Damals", also vor 1990, soll Schoppe die Attraktion der Gegend gewesen sein. An den Wochenenden sind die Leute von weit her gekommen um hier Kuchen und Eis zu essen. Manche Dinge ändern sich eben nie. Die Torten sind auch heute noch großartig. Einen Katzensprung entfert, gleich am Ortsrand, beginnen die Weinberge - an den langen Wochenenden im Herbst und im Frühjahr starten von hier aus die fröhlichen Trinker ihre Wanderungen von einem Winzer zum anderen.


Wo das Urmel seine Wurzeln hat

Was gibt es noch? Käthe Kruse hat einst in Kösen ihre berühmten Werkstätten eröffnet. Sie gehört zu den vielen, die irgendwann nach 1949 die DDR verlassen haben. So wurde die Käthe-Kruse-Puppe ein westdeutsches Produkt und, für die in den 60ger und 70ger Jahren geborenen womöglich viel wichtiger: Max Kruse, das jüngste von Käthes Kindern, ließ sein Urmel 1969 (fast ein '68ger - das passt!) in Reutlingen und nicht in Leipzig oder Halle ausbrüten. Was wäre wohl gewesen wenn... ? Wie bei vielen Betrieben war es auch in Bad Kösen: Käthe Kruse verließ die Stadt und Land. Das Know-How und wohl auch die Leute sind geblieben. Und so werden in Kösen, unter andem Namen, bis heute ganz besondere wunderschöne Plüschtiere pruduziert.


Ankerpunkte


Auf einem Stadtplan von 1914 findet sich schon alles, was Bad Kösen ausmacht oder ausmachen könnte. Und - vieles ist noch vorhanden. Da ist der Fluss. Die in den Hügeln verteilten Kurhäuser und Restaurants. Die Mühle, der kleine Bahnhof, das Gradierwerk. Der Kurpark mit dem Kurmittelhaus. Die Fähre. Ein "Waldgottesdienstplatz". Und die von der Freiluftbewegung genutzte Buchenhalle auf dem Weg zur Rudelsburg... Wäre dieser Plan nicht ein guter Ausgangspunkt für eine Wanderung durch das Städtchen und seine nähere Umgebung?

„So ungefähr um drei kamen wir in die Buchenhalle. Es ist dies ein wunderschöner Platz im Walde, nach Art eines Amphitheaters mit Bänken versehen. Der Chor und die andre Musik nahmen den höchsten Platz ein. Unten war ein Altar und eine Kanzel errichtet und mit Blumen sehr feierlich verziert. Zuerst wurde ‚Ach bleib mit deiner Gnade‘ gesungen, dann las Prof. Buddensieg die Liturgie; wir aber sangen noch einige Motetten; darauf bestieg Diakonus Link aus Ekartberga die Kanzel und hielt eine schöne geistvolle Predigt. Dann schloß die Feierlichkeit mit mehreren Gesangstücken. – Es war ungemein belebt. Fast alle Badegäste waren da.“

Friedrich Nietzsche: Werke: Kritische Gesamtausgabe. Teil I, Band 2: Nachgelassene Aufzeichnungen Herbst 1858 – Herbst 1862. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2000, S. 120


Die Lage zwischen Fluss und Weinbergen. Der Wald. Der Anblick der Stadt aus der Ferne, wenn man über das Plateau von der Rudeldsburg kommt. Der Kurort mit Park und historischen Kurhäusern. Das Gradierwerk oben am Berg. Die Erinnerung an die Salzgewinnung. Die Lage an der Straße der Romanik. Tolle Torten. Käthe Kruse und die wundervollen Plüschtiere... Dieser Ort, sollte man meinen, hat einfach alles.


Ein Ort ohne Fans?

Aber dann: kommt man von Naumburg über die Straße nach Kösen, empfängt einen noch vor der Konditorei, gleich an der Strasse... Lidl, Norma und Netto. Was für ein Auftakt... Gleich nebenan führt die alte Brücke über die Saale. Man merkt gleich, dass dies hier eine historische Wegeführung ist. Allerdings: hier kommen Fluss, Eisenbahn und eine Straßenkreuzung zusammen - dieser Punkt war schon immer ein schwieriges Nadelör. Dann die Topographie... Aber trotzdem: wann wurde diese unsensible Brücken- Unterführungskonstruktion gebaut? Während heute anderswo der Stadtraum gefeiert wird, scheint in Kösen die Ästhetik der 70ger Jahre in voller Blüte zu stehen.


Was noch? Am Ausgang des Kurparks das kleine Bahnhofsgebäude. Ehemals ein charmanter wilhelminischer Bau. Jahrelang ist sein Zustand immer schlechter geworden. Nun hat man - hurrah! die beiden Seitenflügel des historischen Gebäudes abgeschnitten. Übrig bleibt ein Rumpfstück quasi ohne Arme und Beine. Als Teilersatz entstand ein Einfachstbau und ein paar Betonmauern, die womöglich irgendwie modern wirken sollen. Auf der Suche nach dem verantwortlichen Planer findet man einen Architekten ohne Website.

Dann ist da das historische Kurmittelhaus - ein schönes Gebäude, aber seit Jahren verschlossen und ungepflegt. Das Gelände der alten Mühle gleich unten am Fluß - auch schon lange ohne Nutzung. Und, ganz schade: das Schaufenster, in dem man die wirklich wunderbaren Kösener Plüschtiere anschauen kann, gleich an der Brücke, nahe der Konditorei, ist immer, immer schmutzig und verstaubt. Unten am Fluss wird gebaut. Zuversichtlich stimmt das nicht.

Vielleicht zeigt der der Stadtplan von 1914 auch das Problem? In Kösen gibt es keinen Markt, keinen historischen Stadtkern. Tatsächlich hat der Ort ja als ein Vorwerk für das Kloster Pforta angefangen. Dann Flößerei. Salzgewinnung. Tourismus. Gibt es einen Plan für Bad Kösen? Gibt es jemanden, der einen Ausblick in die Zukunft wagen will? Was denken die Leute hier? Oder die Kurgäste? So wie es hier in der Gegend immer wieder eher dürftiges Essen zu sehr gutem Wein gibt, so scheint in Kösen niemand das Potential des wunderschön gelegenen und mit feinen Ankerpunkten ausgestatteten Städtchens entwickeln zu wollen. Alles irgendwie egal - solange man schnell zum Supermarkt kommt?


Literatur


Kommentar schreiben

Kommentare: 0